VERSCHWUNDENE LEICH'

Kaum war der Boandlkramer drauß' bei der Türe, angetrunken und jetzt mit einer dicken Zigarre im rechten Mundwinkel, die Straße entlang Richtung Friedhof stolpernd. Da stürmt auch schon Charlotte Pfister in mein kleines Redaktionsbüro.
"Frau Polster, Sie müssen uns helfen", sagt sie, völlig aufgelöst.
"Sie kennen doch den Schorsch?"
"Den Frechen Schorsch?"
"Nein, den Wallberg Schorsch. Der ist wie vom Erdboden verschschluckt."
Ich schmunzle. Ja, den Wallberg Schorschi, den kenn' ich. Seit vielen Jahren schon. Aber dass er verschwunden sein soll, ist mir neu.
"Jetzt beruhigens ihnen wieder", sag' ich. "Vielleicht ist er auf einem Gletscher beim Skifahren oder beim Tauchen in der Südsee oder beim Golfen in Dubai."
Frau Pfister will sich nicht beruhigen. Sie ist ebenfalls mit ihm befreundet. Viele Jahre war sie sogar Arbeitskollegin von Georg Wallberg, in einem Institut für Luft- und Raumfahrt.
"Der verschwindet nicht so einfach, ohne dass er uns Bescheid gibt", bleibt Charlotte Pfister dabei, dass etwas Ungewöhnliches passiert sein muss.
"Erst haben wir ja auch gedacht, er hat sich ein verlängertes Wochenende in den Bergen gegönnt. Aber, nachdem er zu unserem Golfturnier, für das er sich angemeldet hat, nicht erschienen ist, haben wir angefangen, nach ihm zu suchen."
"Ja, und. Was ist dabei heraus gekommen?"
Charlotte Pfister bricht in Tränen aus. "Nichts. Die Wohnung gibt es nicht mehr, seine geschiedene Frau und seine Tochter wissen nichts und die Freunde haben ihn auch schon Wochenlang nicht mehr gesehen."
Jetzt werde ich hellhörig. Dieses Verhalten ist mehr als ungewöhnlich für Georg Wallberg. Normalerweise ist er sehr korrekt. Er fährt weder mit dem Auto, ohne Papiere dabei zu haben, noch trinkt er Alkohol, wenn er sich ans Steuer setzt. Zu Hause ist alles geordnet, "für den Fall, dass mir mal etwas passiert". Außerdem hat er es sich zur Pflicht gemacht, alle zwei Wochen seine Tochter in Spanien anzurufen.
"Wann hat er sich denn zuletzt bei seiner Tocher gemeldet", will ich wissen.
Charlotte Pfister zuckt die Schultern. So genau wisse sie das nicht, aber die Tochter habe auch schon bei Freunden angerufen, weil sie sich Sorgen macht.
"Dann müssen wir eben im Rathaus nachfragen", sage ich.
"Vielleicht ist er umgezogen und er hat er sich abgemeldet."
Charlotte Pfister blickt mit völlig entsetzt an.
"Nie und nimmer zieht der Schorschi weg, ohne dass er uns Bescheid gibt", bleibt sie hartnäckig dabei, dass etwas passiert sein muss.
Mein Sherlock Holmes Instinkt ist längst geweckt. Ich verspreche Frau Pfister, dass ich an der Sache dran bleibe.
Im Rathaus von Pollykarpsing verschanzt man sich hinter dem Datenschutzgeheimnis. Ich rufe bei allen Bekannten und Freunden an, die im weitesten Sinne mit Georg zu tun gehabt haben könnten. Nichts. Die Polizei sagt mir auch nichts.
Als nicht Verwandte steht es mir nicht zu, Auskunft einzuholen. Ich muss anders an die Sache heran gehen. Bruder Zufall kommt mir dabei zu Hilfe.



Felix Reichle ruft an, erzählt mir von einem erfolgreichen Golfturnier am Wochenende und ob ich wüßte, wie es Georg Wallberg geht.
"Wieso, was ist mit Wallberg", will ich wissen.
"Na, wir haben vor Monaten zusammen Golf gespielt. Da ging es ihm plötzlich nicht gut und er wollte zum Arzt fahren. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört."
"Auf welchem Platz habt ihr denn gespielt?", will ich wissen.
"Drüber, im anderen Gai, bei Königsfeldbrunn", sagt Reichle.
Ich will noch wissen, ob Georg selbst mit dem Auto gefahren ist, ja ist er, und was er denn genau gesagt habe, zu welchem Arzt er gehen wollte.
"Ich glaube, er ist gleich ins Kreiskrankenhaus gefahren. s'Herz hat nicht so richtig mitgespielt", sagt Reichle.
Fast möchte ich ihm noch den Vorwurf machen, dass er Wallberg alleine hat fahren lassen, lasse es aber bleiben und bedanke mich für die Auskunft mit dem Versprechen, sofort anzurufen, sobald ich mehr erfahre.
Langwierige Recherchen, Gespräche mit der Tochter und der geschiedenen Ehefrau, mit Freunden und nicht zuletzt mit Hilfe von Gemeinde- und Königsfeldbrunner Kripo-Beamten, die noch eine korrekte Dienstauffassung haben, gelingt es mir letztendlich, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Es ist so unglaublich, dass einem das Grausen kommen könnte.
Nach dem Golfspiel ist Georg Wallberg tatsächlich Richtung Kreiskrankenhaus unterwegs. Bevor er jedoch angekommen ist, hat er auf der Fahrt dorthin einen Herzinfarkt erlitten und ist gestorben. Leichenabholdienst aber hatte der Pollykarpsinger Boandlkramer, der weder Respekt vor lebenden und schon gleich gar nicht vor toten Personen hat. Fürn Boandlkramer war Georg Wallberg, inzwischen tot, vorher überzeugte Single, ein potenzielles Opfer, das man ungestört ausnehmen kann. "Fragt eh keiner nach", ist die Devise vom Boandlkramer. Es genügen ein bis zwei Spezl in den Pollykarpsinger Amtsstuben und schon ist der Deal perfekt.
Normalerweise nämlich muss der Boandlkramer den Tod im Amt melden. Der Amtsbote muss dann mit einem Zeugen zu der Wohnung des Verstorbenen gehen und schauen, ob es Adressen von Hinterbliebenen gibt. Was mit Sicherheit beim Georg in der Wohnung gefunden worden wäre, hätte man sich bemüht. Findet der Amtsbote keine Adresse, muss er die Wohnung versiegeln und das bayerische Amtsgericht verständigen. Dieses wiederum setzt einen Testamentverwalter ein, der sich um die Hinterlassenschaft und auch um die Beerdigung kümmert. Nichts von alledem aber ist passiert.
Georg Wallberg war verschwunden, seine Wohnung inklusive persönlicher und wertvoller Gegenstände und Schorschis Weinkeller mit teuren und exclusiven Weinsorten, er fuhr immer selber in die Weinanbaugebiete und suchte sich die besten Rebsorten aus, komplett ausgeräumt. Erst durch hartnäckiges Nachfragen bekam seine Tochter heraus, dass ihn der Boandlkramer der Einfachheithalber im alten Friedhof im anonymen Massengrab verbuddelt hat. Der Verdacht liegt nahe, dass er auch gleich noch die Wohnung und den Weinkeller ausgeräumt und das Inventar zu Geld gemacht hat. Weil aber dem Boandlkramer seiner bester Freund der Schultheiß ist, ist die Sache schlichtweg im Sand verlaufen. Georg Wallberg aber wurde im Sommer 2006 exhumiert, dafür musste der Friedhof für zwei Tage gesperrt werden, und in seiner alten Heimat Alting beerdigt.


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